Eine kleine Holocaustrelativierung …

… und ein paar Bemerkungen an jene nützlichen Idioten, die meinen diese überall zu erkennen und bekämpfen zu müssen

[Nachdem ich vor gut einem Jahr begonnen habe, den Text Wer aber von »Impfdiktatur« nicht reden will, sollte auch von »Coronaleugnern« schweigen zu verbreiten, habe ich vermehrt die Kritik zu hören bekommen, dass darin angeblich der Holocaust relativiert werden würde und der Text antisemitisch sei. Leider haben mich nur sehr wenige solche Kritiker*innen selbst angesprochen – heute lästert man ja anscheinend ohnehin lieber und teilt wohl auch schwerwiegende Anschuldigungen hinter dem Rücken von Leuten aus, als den Mut aufzubringen, unbequeme Diskussionen zu führen – und die wenigsten von ihnen waren bereit, mehr als eine „Diskussion“ darüber zu führen, in der man wechselseitig ein paar – zumindest meinerseits eh schon bekannte – Dogmen vom Stapel ließ, bevor man sich nur noch gegenseitig beleidigte. Nun, auch wenn ich sicherlich stets auch dieser Art der Diskussion zur Verfügung stehe und mich auch vor ihrer Eskalation in Form der ausgewachsenen Wirtshausprügelei in der Regel nicht drücke – immerhin soll ja schon die ein oder andere Revolte so ihren Lauf genommen haben –, will ich nun doch noch einmal inhaltlich nachlegen und meinen Kritiker*innen eine neue tiefsinnige Provokation vor den Latz knallen. Hier ist sie: Eine Verrelativierung des Holocausts in dem Versuch seine historischen Vorfahren zu fassen, ebenso wie seine heutigen Nachfolger. Ach, und dass mein ursprünglicher Text antisemitisch sei, das ist mir dann doch jeder Erwiderung zu blöde, außer dass ich noch immer darauf warte, dass mir endlich einmal irgendwer die Textstelle zeigt, in der eine Feindlichkeit gegenüber Semiten ausgedrückt werden würde oder sich auf eine solche Feindlichkeit irgendwie positiv bezogen werden würde.]

Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.

– Ein zur antifaschistischen Binsenweisheit verkommener Ausspruch Primo Levis –

Ich habe mich lange Zeit gesträubt, die folgenden Zeilen tatsächlich niederzuschreiben. Nicht weil ich die Kontroverse scheuen würde – das gewiss nicht –, auch nicht, weil ich an ihrer Wahrheit zweifeln würde, sondern vor allem weil ich sie für überflüssig hielt. So ist doch alles, was ich im folgenden ausführen werde bereits gesagt worden, von weiseren, besonneneren und klügeren Menschen als mir, wäre man nun gewöhnlich vielleicht geneigt zu sagen, aber ich bin kein Fan davon, mich in geheuchelter Demut selbst zu erniedrigen, nur um meinem Argument mehr Gewicht zu verleihen. Wohl aber, das will ich dann doch liebend gerne einräumen, von Menschen, die sehr viel unmittelbarer damit konfrontiert gewesen sind, was man heute meist Holocaust oder Shoah nennt, also mit dem vorsätzlichen Versuch der Vernichtung der europäischen Jüd*innen, ebenso wie mit dem anschließenden Mega-Unterfangen dessen Hintergründe und Dynamiken zu vertuschen, dieses Ereignis totzuschweigen oder mit einer geheuchelten Entschuldigung in Richtung irgendwelcher (selbsternannter) Token-Figuren ad acta zu legen. Natürlich haben dieselben Menschen oft andere Schlussfolgerungen aus dem Gesagten gezogen, als ich es tun werde und gewiss könnte man genausogut eine ganze Reihe von Menschen zitieren, die wenn schon nicht das genaue Gegenteil, immerhin so ziemlich das Gegenteil von dem gesagt haben mögen, was ich hier präsentieren werde. So ist das nun einmal. Geschichte wird von den Siegermächten geschrieben1 und wer es wagt, einen Blick hinter ihre Vorhänge zu werfen, die*der wird immer mit unzähligen, sich widersprechenden Erzählungen konfrontiert sein, in die sie*er seine*ihre eigene Ordnung bringen muss.

Ich will gleich mit einer unpopulären Meinung beginnen, die gewissermaßen Auslöser dafür ist, dass ich mich genötigt fühle, diese Zeilen nun doch einmal zu Papier zu bringen. Der eingangs zitierte Ausspruch von Primo Levi, er gibt meiner Meinung nach bloß die Hälfte einer Wahrheit wieder: “Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen”, wer würde das in Zweifel ziehen wollen? Ich aber komme unweigerlich zu der Analyse: Es ist bereits zuvor geschehen und es geschieht auch weiterhin. Da dürfte es gerade der*dem eine*n oder anderen die Sicherung rausgehauen haben und egal was ich nun sagen werde, es wird ungehört bleiben. Aber lassen wir jene, die sich selbst das Denken verbieten doch einfach mal außen vor. Vielleicht stoßen sie ja in ein paar Jahren wieder zu uns, wenn sie genug davon haben, sich wie irgendwelche Troll-Bots zu verhalten und erkannt haben, welche Schäden sie mit einem solchen Verhalten anrichten. Nichtsdestotrotz will ich diese These selbstverständlich erklären. Zunächst einmal stellt sich die Frage was ist Es? Primo Levi schreibt seinen Ausspruch im Schlusswort zu seiner Essaysammlung Die Untergegangenen und die Geretteten. Mit Es meint er das seiner Meinung nach unvorhersehbare “Geschehen”, dass “ein ganzes zivilisiertes Volk, das die schöpferische kulturelle Blüte der Weimarer Zeit gerade hinter sich gelassen hatte, einem Hanswurst folgte, der einen heute noch zum Lachen bringt.” Und er fügt seinem Ausspruch schließlich noch an: “Es kann geschehen, überall.” Ich werde später noch einmal zu Primo Levi zurückkehren, wenn ich einige der Leerstellen bei ihm näher beleuchten werde, insbesondere jene, die ihn dazu verleiten ausgerechnet überrascht darüber zu sein, dass ein zivilisiertes Volk zu solchen Grausamkeiten fähig ist.Primo Levi meint mit Es also den gesamten Prozess des nationalsozialistischen Wahns, der schließlich im sogenannten Holocaust gipfelt. Und dieser Bedeutung von Es will ich mich in meiner These anschließen. Nun wird man einwenden, dass ich vielleicht lieber nocheinmal die Geschichte studieren solle, immerhin hat es niemals zuvor und niemals wieder danach einen derartigen industriellen Genozid an Jüd*innen gegeben. Aber so eng gefasst habe ich es selbstverständlich nicht gemeint und es zeigt eigentlich bloß die Verblödung des Gegenübers, derart enge Maßstäbe anzulegen. Denn offensichtlich hat es den Holocaust vorher und nachher nicht gegeben, offensichtlich ist der Holocaust ein singuläres Ereignis, ebenso wie der Genozid an den Ureinwohner*innen Amerikas ein singuläres Ereignis darstellt oder auch der Genozid an den Tutsi in Ruanda oder jener an den Khmer in Kambodscha. Aber die Erkenntnis, dass historische Ereignisse, die von bestimmten historischen Gegebenheiten und Konflikten, von bestimmten Akteuren, ebenso wie Machtkonstellationen abhängig waren, niemals identisch sind mit Ereignissen aus anderen Epochen und an anderen Orten, von welchem Wert soll sie sein? Wenn ich also sage, dass es, also etwas in gewisser Hinsicht mit dem Holocaust vergleichbares, bereits vorher stattgefunden hat und dass es bis heute Ereignisse und Entwicklungen gibt, die mit dem Holocaust vergleichbar sind, und die vor unseren Augen stattfinden, dann doch ganz gewiss nicht, um zu sagen, der Holocaust sei etwas gewesen, das halb so wild wäre. Wohl aber, um zu sagen: Nun, so ungewöhnlich war – und ist – der Holocaust letztlich nicht. Und wer würde das bestreiten wollen?

Jaja, ich weiß, das würden die meisten bestreiten wollen, zumindest die meisten unter jenen, die entweder zu viel mit der radikalen Linken in Deutschland zu tun hatten oder das noch haben, aber tief durchatmen, ich will auch diesen Punkt ein wenig präziser erläutern: Ein wesentliches Charakteristikum des Holocausts, zumindest eines, auf das es mir hier ankommt, ist doch, dass es sich bei ihm um einen Genozid handelt und als solcher hat er offensichtlich Vorgänger und Nachfolger. Nun könnte man etwa geneigt sein, auf die Ausmaße dieses Genozids zu verweisen um diese als Alleinstellungskriterium zu beanspruchen. Aber das funktioniert faktisch nicht. Rund 6 Millionen Jüd*innen wurden im Holocaust ermordet. Das entspricht zahlenmäßig in etwa dem Genozid an den Nordamerikanischen Ureinwohner*innen, das sind weit weniger Menschen als die manchmal geschätzten 20 Millionen Ermordeten während der chinesischen Kulturrevolution und gerade einmal dreimal so viele wie die Ermordeten in Kambodscha. Das ist menschenverachtend, die Zahlen der Getöteten gegeneinander aufzuwiegen? Finde ich auch, also legen wir dieses schwachsinnige Argument doch gleich wieder beiseite, oder? Man könnte natürlich auf den verhältnismäßig kurzen Zeitraum verweisen, in dem diese Menschen getötet wurden, was schon ein bisschen in die Richtung der industriellen Organisation dieses Genozids geht. Trotzdem kann man auch das kaum gelten lassen. Zwischen April und Juli 1994 wurden in Ruanda bei einem kaum industriell organisierten, pogromartigen Völkermord etwa eine Million Menschen ermordet, die Kulturrevolution, ein vergleichsweise industriell organisierter Genozid, dauerte rund 10 Jahre an. Und wieder sind es diese menschenverachtenden Zahlenschubsereien, an denen wir hier einen außergewöhnlichen Charakter festmachen würden, also lassen wir diese Scheiße doch bitte endlich! Aber was ist dazu zu sagen, dass die industrielle Organisation des Holocausts diesen zu einem singulären Ereignis macht, das vorher und nacher nie dagewesen wäre. Das halte ich faktisch für den größten Quatsch: War (und ist) der Genozid an den Ureinwohnern Nordamerikas nicht industriell organisiert? Waren die Gulags und Umerziehungslager, die Killing Fields und das Tuol-Sleng, allesamt Einrichtungen kommunistischer Genozide, nicht mindestens ebenso industriell organisiert wie die KZs der Nazis? Und sind die Lager in die die chinesische Regierung die Uiguren interniert nicht auch eine modernisierte Variante, der an ihnen verübte Organraub nicht gewissermaßen die kybernetische Perfektion des industriellen Vernichtungsprozesses? Die industrielle Organisation weisen all diese Genozide auf, unterscheiden tun sie sich hinsichtlich ihrer Opfer und damit ihrer legitimierenden Ideologien, sowie hinsichtlich der technologischen Möglichkeiten, die den jeweiligen Schlächtern zur Verfügung stehen. Hinsichtlich der technologischen Möglichkeiten zu unterscheiden halte ich für eine Sackgasse, denn diese sind weitestgehend gegeben – auch wenn sie immer auch gezielt entwickelt werden – und heute ohnehin mehr oder weniger global gleichermaßen vorhanden. Hinsichtlich der legitimierenden Ideologien zu unterscheiden macht in gewisser Hinsicht sehr viel Sinn, das ist richtig, für meine Betrachtung jedoch nicht, denn ein Teil meines Arguments ist durchaus, dass die Ideologien, so wichtig sie auch sind, relativ austauschbar sind und vielmehr die Eigendynamiken dessen was man nun mit geringfügigen Unterschieden in den Nuancen entweder als Technologie, Zivilisation oder Fortschritt, ja gewissermaßen sogar als Kapital bezeichnen mag, nicht nur die Grundlage für Genozide legen, sondern deren Zustandekommen auch entscheidend mitzuverantworten haben.

Wenn ich also sage, dass es dem Holocaust vergleichbare Ereignisse vor wie nach den 1940er Jahren gegeben hat, dann meine ich damit durchaus eine industriell-technologisch organisierte Form des Genozids, die sich diversen Systemen der Erfassung und Segmentierung von Bevölkerungen (Ausweise, Register, Datenbanken, Reisepässe, Familiennamen (?), Hautfarbe und unstrukturierteren Formen sozialer Kontrolle) ebenso bedienen wie Konzentrationslagern, Reservaten, Ghettos, usw. und auch speziellen Methoden, die zur massenhaften Tötung von Menschen geeignet sind. Genozide also, die sich von mehr oder weniger spontan verübten Massakern und Pogromen (auch wenn sie oft auch mit solchen einhergehen) klar unterscheiden, vor allem dadurch, dass sie von einer herrschenden Elite planvoll und vorsätzlich über eine längere Zeitspanne hinweg verübt werden, wofür oft eigene Instrumentarien geschaffen werden, ebenso wie entsprechend beauftragte Institutionen. Eine relativ frühe Form eines solchen Genozids, der wie auch der Holocaust auf dem europäischen Territorium stattfindet, mag in der Inquisition gesehen werden. Auf die Gefahr der Banalisierung und zugunsten der Kürze fasse ich diese hier einmal zusammen als eine Bestrebung vor allem des Klerus und des Adels die Bevölkerung von widerständigen Elementen zu säubern, ebenso wie ein gewisses indigenes Wissen, vornehmlich das um die Prozesse der Reproduktion, auszulöschen – mit dem Ziel, Geburtenraten zu steigern und sich die für die Industrialisierung notwendigen Arbeitermassen zu schaffen. Sie trifft folgerichtig vor allem kundige Frauen, die zu Hexen stilisiert werden, aber beispielsweise auch subversive Bauernschaften, Homosexuelle und Jüd*innen. Konzentrationslager kennt die Inquisition in dieser Form noch nicht, allerdings muss die parallel stattfindende Urbanisierung vielleicht als die Schaffung einer Umgebung verstanden werden, die von späteren Konzentrationslagern perfektioniert werden wird. Weil es ohnehin noch keine geeigneten technologischen Möglichkeiten gibt, Menschen zusammenzukarren und zu konzentrieren, kommt die Inquisition gewissermaßen zu den Menschen, anstatt die Menschen zu sich zu deportieren. Das wird sich kurz darauf ändern. Der Kolonialismus bringt auch die ersten Konzentrationslager hervor und schafft sich mit Eisenbahnen schnell die auch im Holocaust entscheidenden Massentransportmittel, mit denen sich ein Genozid industriell organisieren lässt. In Reservate und Konzentrationslager gesperrt, sind die ansonsten kaum zu kontrollierenden indigenen Bevölkerungen den Kolonisatoren ausgeliefert. Es entstehen auch erste Ausweispapiere, die den Zweck haben, die wenigen erlaubten Bewegungen der Indigenen außerhalb dieser beherrschbar zu machen. Massaker, die bewusste Infektion mit Krankheitserregern, sowie die Deportation von indigenen Kindern und deren zweischneidige physische, ebenso wie psychische Vernichtung an missionarischen Schulen gehören zu den wesentlichen Mitteln dieses Genozids. Dass mit den Hollerith-Lochkarten, auf denen die bei Volkszählungen abgefragten Informationen festgehalten und maschinell auswertbar gemacht werden, in eben jenem Kontext ein Instrument entwickelt wird, das kurze Zeit später dank der heute noch existenten Firma IBM den Nazis gute Dienste bei der Deportation der europäischen Juden leisten wird, ist eine kaum zu leugnende Kontinuität des Holocausts zu vorangegangenen industriellen Genoziden. Ebenso wie auch die Konzentrationslager, mit denen auch die deutschen Kolonialherren gute Erfahrungen gemacht haben und in denen schon unter Robert Koch medizinische Experimente an indigenen Bevölkerungen durchgeführt wurden – eine von Verschuer, Mengele und vielen weiteren in den KZs fortgeführte Praxis –, eine Kontinuität zu den diversen kolonialen Genoziden unleugbar machen. Und auch die Methoden der massenhaften Tötung, die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern zum Einsatz kamen, haben Kontinuitäten zu jenen der kolonialen Genozide: Bevor das Vergasen vermittels Blausäure (Zyklon B) zur “Leitmethode” in den KZs wurde, wurden Inhaftierte nicht bloß erschossen, durch Arbeit vernichtet – eine Kontinuität zu den Gulags – oder mittels anderer Gase, wie Kohlenstoffmonoxid in Form von Abgasen und diversen militärischen Giftgasen ermordet, sondern auch durch die Spritzen der Ärzte, die ihnen tödliche Krankheitserreger injizierten. Ganz ähnlich der bewussten Verbreitung von Krankheitserregern in den Reservaten Nordamerikas. Und auch die Deportation in Zügen ist, wie bereits gesagt, kein Novum auf dem Gebiet der genozidalen Vernichtungstechnologien.

In einem Punkt, nämlich hinsichtlich der Ermordung der Insassen mittels v.a. Cyanwasserstoff wird der nationalsozialistische Genozid meines Wissens nach tatsächlich nicht nachgeahmt werden. Massenerschießungen und Vernichtung durch Arbeit, Krankheiten und Hunger werden sowohl in den kommunistischen Konzentrationslagern, als auch den heutigen Konzentrationslagern, die vor allem dazu dienen, Flüchtlinge “aufzufangen” und unter Kontrolle zu halten, an der Tagesordnung sein. Und dort, wo man die Insassen der Konzentrationslager hinsichtlich ihrer Organe verwertet, wird das Ableben vielmehr auf dem OP-Tisch veranlasst. Wie gesagt, keine*r sagt, es gäbe keine Unterschiede.

Dass einem über die letzten Zeilen hinweg speiübel geworden sein mag, angesichts der Grausigkeiten der beschriebenen Geschehnisse finde ich sehr gut nachvollziehbar und meinetwegen nehme ich die “Schuld” auf mich, euch keine Triggerwarnung ausgesprochen zu haben, wobei ich eigentlich nicht so wirklich nachvollziehen kann, warum jemand glauben sollte, bei einem Text über den Holocaust wäre irgendetwas anderes zu erwarten gewesen. Aber wie gesagt, meinetwegen lasse ich mich gerne zum rücksichtslosen Arschloch erklären, dass die Leute ungefragt mit der Realität dieser Welt konfrontiert. Wozu ich jedoch nicht bereit bin, ist den Vorwurf auf mich zu nehmen, mit dem Gesagten den Holocaust relativiert zu haben. Und wieder wollen wir hier nicht in Wortklaubereien verfallen. Denn natürlich habe ich den Holocaust relativiert, indem ich ihn in eine Kontinuität mit einer ganzen Reihe an Genoziden gestellt habe. Relativiert im Wortsinne, ihn nämlich nicht als etwas “Absolutes”, Unvergleichbares stehen gelassen, sondern in Relation zu anderen Ereignissen, Entwicklungen und Prozessen gesetzt. Relativiert nicht darin, dass ich ihn in irgendeiner erdenklichen Form legitimiert hätte, oder gesagt hätte, er sei weniger schlimm, usw., sondern darin, dass ich eine Linie von einem schrecklichen Ereignis gezogen habe, zu einer Reihe vorangegangener und nachfolgender schrecklicher Ereignisse, in dem Versuch das, was ich als Gemeinsamkeit dieser Ereignisse herausgestellt habe, besser erklär- und analysierbar zu machen. Denn nur wenn man in der Lage ist, eine Analyse von dem zu entwickeln, von dem man will, dass es unter keinen Umständen “wieder geschehen” soll, kann man auch auf das zielen, was es ausmacht, ermöglicht und hervorbringt, in der Absicht es zu verhindern und seine Infrastrukturen zu zerstören, das versteht sich ja von selbst, oder?

Auf einer solch technischen Ebene betrachtet wird also schnell und unmittelbar einleuchtend ersichtlich, dass der Holocaust im Hinblick auf seine industrielle Organisierung keineswegs einzigartig gewesen ist, sondern sich im Unterschied zu diversen anderen industriell organisierten Genoziden den technologischen Mitteln seiner Epoche bedient. Man könnte selbst die Atombombe in diese Reihe stellen, die das “Meisterwerk” vollbringt, ihre industrielle Logistik und die zu ihrer Vollendung erforderlichen “Lagerstrukturen” (ja, auch der Manhatten District bei Elza, Tennessee lässt sich als ein Lager beschreiben, selbst wenn die dort stationierten Forscher*innen und Militärs nicht die Opfer, sondern die Täter dieses Genozids waren) zeitlich und räumlich weitestegehend von der finalen genozidalen Auslöschung, die kaum länger als einen Wimpernschlag dauert und dabei hunderttausende und Millionen Menschenleben auszulöschen vermag, zu entkoppeln. Aber lassen sich Genozide wirklich auf einer derart technischen Ebene verstehen? Geschehen industriell organisierte Genozide und insbesondere auch der Holocaust deswegen, weil sie möglich sind? Ich denke die Antwort darauf muss zugleich Ja und Nein lauten. Denn ich gehe zumindest soweit mit Hannah Arendt mit, dass “das Böse” wenigstens bis zu einem gewissen Grad banal ist. Hat nicht einer der Cheflogistiker des Holocausts einmal gesagt:

“Hätten wir 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet. … Ich war kein normaler Befehlsempfänger, dann wäre ich ein Trottel gewesen, sondern ich habe mitgedacht, ich war ein Idealist gewesen.”

Und ein Trottel war er augenscheinlich nicht, dieser Nazi-Schlächter. Hätte es ein Trottel auf die Reihe gebracht, die Deportation von mehr als 6 Millionen Jüd*innen in ganz Europa fahrplangerecht zu organisieren, mag man sich einerseits fragen, während man andererseits eben sojemanden einen Fachidioten – oder auch Fachtrottel – nennt, also jemanden der im Grunde in jeder Hinsicht ein absoluter Trottel ist, in einem Fachgebiet jedoch die erforderliche Erfahrung, sowie die erforderlichen Kenntnisse besitzt, um darin hochkomplexe Lösungen zu entwickeln (“Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof” sagte einmal Franz Novak, ein Mitarbeiter in Eichmanns Büro). Eichmann, der Bürokrat, er wäre befriedigt gewesen, hätte er dieses für ihn abstrakt gebliebene Projekt der Vernichtung der europäischen Juden zum Abschluss gebracht, aber ihm fehlt die Fähigkeit überhaupt zu begreifen, was das bedeutet. Ein stalinistischer Bürokrat, der ein Massaker an einer sich seinen Plänen widersetzenden Bevölkerung anordnet, ein Militäroffizier, der den Abwurf der Atombombe anordnet, ja selbst der Pilot, der diese genozidale Superwaffe schließlich ausklinkt, sie alle sind unfähig das Ausmaß ihres Handelns zu begreifen. Würde man jemandem einen Knüppel in die Hand drücken und ihm sagen, er solle sechs Millionen Juden damit erschlagen, er würde selbst wenn es sich bei ihm um den glühendsten Antisemiten handelt, nach ein paar Dutzend getöteter Menschen mental (ganz abgesehon von körperlich) zusammenbrechen, würde das Leid, das er gezwungen wäre mit anzusehen nicht länger ertragen, würde sich wohl oder übel mit dem Menschen, der ihm da gegenübersteht identifizieren, selbst dann wenn ihm die Propagandisten seit frühester Kindheit eingehämmert hätten, dass es sich bei diesem um nichts als menschliches Ungeziefer handeln würde. Er würde scheitern, den Befehl auszuführen, selbst wenn er noch so fanatisch an die angebliche Sache, der er da dient, glauben würde. Aber wenn es ein Federstreich auf einem Stück Papier ist, das den Tod von Millionen anordnet, wenn es zu einer gesichtslosen Masse gemachte Menschen sind, die in die Züge getrieben werden, wenn man “nur” ein weißes Granulat in eine Schornsteinöffnung streut, wenn man “nur” ein paar vollkommen erniedrigte Menschen anweist, die Leichen zu verbrennen, usw., usw., wenn also der zahlenmäßig völlig unbegreifliche Genozid dank technologisch-industrieller Organisation auf eine Reihe von auszuführenden Befehlen reduziert wird, bei denen zudem die untersten in der Befehlskette, diejenigen, die am ehesten die Aufgabe des Henkers übernehmen, regelmäßig ausgetauscht werden, dann wird das möglich, was ansonsten völlig unmöglich gewesen wäre. Und das gilt natürlich auch für jene, die das Ganze mehr oder weniger als Zuschauer dulden, für die “rätselhafte Bereitschaft der technologisch erzogenen Massen” sich zu Kollaborateuren eines solchen Unterfangens zu machen, auch wenn ich das nicht als einen “Zusammenbruch der bürgerlichen Zivilisation” betrachten würde, sondern vielmehr als ihren gelegentlichen ebenso wie grundlegenden Ausdruck. Würde man einen Bürokraten wie Eichmann danach gefragt haben, warum er die Juden, genauer gesagt, 10,3 Millionen Jüd*innen, als seinen Feind betrachtet, so sehr, dass er ihre vollständige Auslöschung für nötig hielt, dann hätte er vielleicht irgendetwas mehr oder weniger der nationalsozialistischen Propaganda entsprechendes geantwortet, hätte mit irgendeiner hohlen Phrase davon abgelenkt, dass er eigentlich selbst keine Ahnung hat, warum er so denkt und er im Endeffekt nichts weiter ist als einer der widerlichsten und zugleich volltrotteligsten Vollstrecker*innen eines Befehls der Herrschenden. Oder wie andere schon vor mir das einmal eindrucksvoll zusammengefasst haben:

»Wenn diese Sache einmal gemacht werden musste, … dann war es besser, wenn Ruhe und Ordnung herrschten und alles klappte«, erklärte Adolf Eichmann sein Handeln, wobei er mit »Sache« die Deportation und Vernichtung der Juden meint. Dass dies in »Ruhe und Ordnung« überhaupt möglich ist, das ist vor allem der Technologie von Zügen, Gaskammern, Krematorien, informationstechnisch gestützter Datenbanken (Hollerith-Lochkarten), in denen die Menschen automatisiert dem Arbeitseinsatz oder der Vergasung, dem einen Lager oder dem anderen zugewiesen werden können, Grenztechnologie (Zäune, Stacheldraht, Wachtürme, usw.), erbbiologischer medizinischer Untersuchungen, usw. geschuldet, die die den Genozid letztlich maßgeblich organisierenden Menschen von der Verantwortung für ihr Handeln, das nunmehr rational ist und dem Diktat der Wissenschaft und der Logik folgt, loszusagen scheint. Mit Blick auf Novak und seine Eisenbahnen könnte man vielleicht auch sagen, dass die schiere Möglichkeit Menschen zu hunderten und tausenden in Waggons zu pferchen und an einen anderen Ort zu deportieren und seine Aufgabe dafür die nötige Papierarbeit zu vollbringen, ebenso wie der Zugführer »nur« die Lokomotive steuert, der Techniker »nur« die Maschinen wartet und sich irgendwelche anderen arbeitsteilig am Holocaust Mitwirkenden vielleicht sogar darin gefallen mögen, die vollgestopften Wägen in der prallen Sonne mit etwas Wasser zu kühlen und so irgendeiner präfaschistischen Moral genüge zu tun, also einerseits die von der Technologie erforderte Arbeitsteilung und die daraus resultierende Entfremdung und andererseits der Ehrgeiz auf dem eigenen Gebiet herausragende Leistungen innerhalb eines Systems der Fahrt in den Tod zu vollbringen, die notwendige Bedingung dafür sind, dass ein solcher Genozid überhaupt denkbar wird. Denn genau auf diese Weise ist es möglich, die Deportierten dermaßen zu entmenschlichen, dass es völlig ausgeschlossen sein wird, sich in ihnen wiederzuerkennen.

Soweit also ein klares Ja dazu, dass industriell organisierte Genozide und insbesondere der Holocaust deshalb stattfinden, weil sie technologisch möglich sind, also präziser ausgedrückt deshalb, weil entsprechende Technologien ihre Organisation auf eine Weise ermöglichen, die den an ihnen arbeitsteilig beteiligten handelnden Schlächter*innen das Ausmaß und die Grausamkeit ihrer Taten nicht unmittelbar vor Augen führt. Und doch scheint es mir (noch) einer Triebkraft hinter diesen industriell organisierten Genoziden zu bedürfen, die außerhalb dieser technologisch-industriellen Logik des Massenmordens steht und die den Stein quasi erst einmal ins Rollen bringen muss. Noch vor allem deshalb, weil wir das, was man bereits angesichts des atomaren Wettrüstens beobachten konnte und was heute vielleicht treffender als die ökofaschistische Fahrt in den Tod beschreiben kann, vollständig aus einer inneren industriell-technologischen Logik heraus die Auslöschung ganzer Bevölkerungen, wenn nicht jeglichen Lebens auf diesem Planeten als reale Möglichkeit in den Raum stellt.

Ich denke dass es hier nicht grundverkehrt ist, jene Überlegungen zu betrachten, die den Holocaust ebenso wie andere Genozide, ja selbst die kommunistischen, als eine Form der ursprünglichen Akkumulation betrachten. Also einen Prozess, in dem sich eine dominante Gesellschaft oder auch Zivilisation die Reichtümer ebenso wie die Arbeitskraft einer zu marginalisierten Bevölkerungsgruppe oder Indigener einverleibt, in der Absicht, das für das in-Gang-bringen des Produktionsprozesses – beispielsweise zugunsten militärischer Unterfangen, also Waffen- ebenso wie Energieproduktion, usw. – notwendige Kapital, bzw. die dafür notwendigen Ressourcen zu beschaffen. In Der anhaltende Reiz des Nationalismus schreibt Fredy Perlman dazu:

“Die ursprüngliche Akkumulation von Kapital ist nichts, das einmal passiert ist, in weiter Vergangenheit, und danach nie wieder. Sie ist etwas, das weiterhin den kapitalistischen Produktionsprozess begleitet, und sie ist ein integraler Bestandteil dessen. Der von Marx beschriebene Prozess ist für die regulären und erwarteten Profite verantwortlich; der Prozess, der von Preobraschenski beschrieben wird, ist für die Starts verantwortlich, für die unerwarteten Profite und die großen Sprünge nach vorn. Die regulären Profite werden regelmäßig von Krisen, die im System beheimatet sind, zerstört; neue Injektionen ursprünglichen Kapitals sind das einzig bekannte Heilmittel gegen die Krisen. Ohne eine fortwährende ursprüngliche Akkumulation des Kapitals würde der Produktionsprozess stoppen; jede Krise würde dazu tendieren permanent zu werden.

Genozid, die rational kalkulierte Auslöschung menschlicher Bevölkerungen, die als legitime Beute bestimmt werden, ist keine Verirrung in einem ansonsten friedlichen Marsch des Fortschritts. Genozid ist eine Grundvoraussetzung dieses Fortschritts. Deshalb waren nationale Streitkräfte unverzichtbar für die Verwalter des Kapitals. Diese Kräfte beschützten nicht nur die Eigner des Kapitals vor dem aufständischen Ingrimm ihrer eigenen ausgebeuteten Lohnarbeiter. Diese Kräfte erbeuteten auch den Heiligen Gral, die Wunderlampe, das ursprüngliche Kapital, indem sie die Tore widerständiger oder unwiderständiger Außenseiter einrissen, indem sie plünderten, deportierten und ermordeten. “

Mit einem solchen Verständnis ist es möglich dorthin zurückzukehren, wo meiner Meinung nach der eingangs zitierte Primo Levi, aber selbst jene, die sich mehr oder weniger explizit der Untersuchung dieser Prozesse angenommen haben, scheitern, wenn sie entweder ob der Tatsache überrascht sind, dass der Holocaust von einer zivilisierten Gesellschaft verübt wurde, oder sich genötigt fühlen, dem Zivilisationsprozess oder stellvertretend jenen der technoindustriellen Zivilisation, also den der Aufklärung, eine Dialektik zu attestieren, um ihn schlussendlich als etwas zu Bewahrendes in die düsteren technologisch-vermassten Zeitalter der Moderne hinüberzuretten. Ich denke man kann das Ganze auf eine geradezu banal wirkende anarchistische Gewissheit bringen, wenn man es zusammenfasst, als etwas der Art: Die Projekte der Herrschaft bedienen sich stets der für ihre Zwecke geeignetsten, zur Verfügung stehenden (technologischen) Mittel, ebenso wie sie neue (technologische) Mittel gemäß der von ihnen verfolgten Zwecke entwickeln. Moralische Werte sind dabei nichts anderes als ein solches Mittel. Die Werte der Aufklärung – der Humanismus – waren dabei seit jeher heuchlerisch, ebenso wie geeignet, in genozidaler Absicht gegen all jene gewendet zu werden, die sich außerhalb der zivilisierten Ordnung befanden. Die (empirische) Wissenschaft als eine der zentralen Denkweisen der technoindustriellen Zivilisation stand dabei immer schon im Dienste der Projekte der Herrschaft, die auf ihr gründende Vernunft und Rationalität bemaß sich an nichts anderem, als daran, welche Mittel dem jeweiligen Zweck am erfolgsversprechendsten gegenüberstanden. Oder um ein weiteres Mal aus Der anhaltende Reiz des Nationalismus zu zitieren:

“Nach dem Krieg sprachen viele vernünftige Menschen über die Ziele der Achse als irrational und von Hitler als Wahnsinnigem. Jedoch betrachteten dieselben vernünftigen Menschen Männer wie George Washington und Thomas Jefferson als geistig gesund und rational, auch wenn diese Männer die Eroberung eines weitläufigen Kontinents, die Deportation und Vernichtung der Bevölkerung dieses Kontinents zu einer Zeit planten und begannen auszuführen, als solch ein Projekt noch viel weniger machbar war als das Projekt der Achse. Es ist wahr, dass sich die Technologien ebenso wie die physikalischen, chemischen, biologischen und Sozialwissenschaften, die von Washington und Jefferson angewandt wurden, ziemlich von denen, die von den Nationalsozialisten angewandt wurden, unterschieden. Aber wenn Wissen Macht ist, wenn es für die früheren Pioniere rational war in Zeiten von Pferdekutschen mithilfe von Schießpulver zu verstümmeln und zu töten, warum war es von den Nationalsozialisten irrational mithilfe von Sprengstoffen, Gas und chemischen Wirkstoffen in Zeiten von Raketen, U-Booten und »Autobahnen« zu verstümmeln und zu töten?

Die Nazis waren, wenn überhaupt, sogar wissenschaftsorientierter als die Amerikaner. Zu ihrer Zeit waren sie ein Synonym für wissenschaftliche Effizienz für den Großteil der Welt. Sie führten Buch über alles, tabellierten und kreuztabellierten ihre Entdeckungen, veröffentlichten ihre Tabellierung in wissenschaftlichen Journalen. Unter ihnen war sogar Rassismus nicht die Domäne der Grenz-Aufwiegler, sondern die hochdotierter Institute. “

Aus dieser Perspektive stellt sich heute die Frage nach der Organisation von Genoziden, die Frage danach, ob es tatsächlich nicht nur wieder geschehen kann, sondern ob es just in diesem Moment passiert, völlig anders als intuitiv vielleicht erwartet: Wenn wir uns auf die Suche nach KZs nach nationalsozialistischem Vorbild begeben, um uns angesichts deren Fehlen dessen zu versichern, dass Auschwitz “nie wieder” sein könne, wenn wir jene völlig verblödeten, hängengebliebenen und entsprechend einflusslosen Hakenkreuz-Hohlbirnen suchen, die zwar im Zweifel ganz gewiss verdient haben, dass eine*r ihnen ihren Schädel einschlägt, aber von denen mit beinahe ebenso großer Gewissheit gesagt werden kann, dass sie nicht in der Lage sind, einen Holocuast oder einen anderen (industriellen) Genozid zu verüben, wenn wir aus diesem Prozess der Nostalgie für eine erstarrte Geschichte heraus uns darauf beschränken, die Welt durch die Linse dieser beschränkten Perspektive wahrzunehmen, dann verschließen wir aktiv unsere Augen vor den sehr real stattfindenden industriell organisierten Genoziden, den globalen Konstellationen, die diese ermöglichen und jenen Prozessen, die in der Zukunft noch ganz neue industriell organisierte Genozide hervorbringen werden. Egal ob anhaltende genozidale kriegerische Konflikte rund um die Rohstoffminen unserer schönen neuen Techno-Welt, die dank Auffanglagern, militarisierten Grenzen, Waffenlieferungen und auch biotechnologischer Intervention in Form von Bevölkerungspolitik ganze Industriesparten zu Komplizen bei ihrer Verwaltung zählen oder auch weiterhin existente, rassistische Genozide, die in Reservaten, Lagern und zu Todeszonen gewordenen Territorien eines bewaffnet ausgetragenen und verstetigten Konflikts stattfinden, oder auch der von westlichen Eliten verwaltete und kontrollierte genozidale Hunger in der sogenannten Dritten Welt, das industrielle Massenmorden von heute stützt sich auf die technologischen Instrumente von heute.

Ich denke nicht, dass es grundsätzlich gewinnbringend ist, die Genozide der heutigen Epoche mit dem nationalsozialistischen Genozid an den europäischen Jüd*innen zu vergleichen. Nichtsdestotrotz, und ich hoffe, dass eindeutig herausgearbeitet zu haben, haben die sich heute vor unseren Augen ereignenden Genozide gewisse Kontinuitäten, die gelegentlich auch den Holocaust zu einem ihrer historischen Vorbilder und Bezugspunkte machen, ebenso wie eine gerade in Deutschland kaum anders als postfaschistisch beschreibbare Gesellschaft selbstverständlich gewisse Kontinuitäten aufweist, die zuweilen sogar in der namentlich nicht veränderten Fortexistenz zentral in den Holocaust verwickelten Institutionen (z.B. Robert-Koch-Institut) sichtbar werden. Darauf zu verweisen relativiert den Holocaust nicht. Zumindest nicht in einem Sinne, der in irgendeiner Form dazu geeignet wäre, ihn herunterzuspielen oder gar zu legitimieren.

Wer das dennoch behauptet, muss sich jedenfalls die Frage gefallen lassen, ob es ihr*ihm nicht eigentlich darum geht, den wahrscheinlich immer schon heuchlerischen antifaschistischen Schwur “nie wieder” aufzuweichen, indem gerade jene Epoche, die es demzufolge zu verhindern gilt, zu einer sowieso nicht wiederholbaren “Singularität” stilisiert wird. Denn historische Vergleiche mögen vielleicht vielfach reduktionistisch sein – was Vergleiche halt so an sich haben – und man kann sich vortrefflich darum streiten, unter welchen Aspekten so ein Vergleich seine Gültigkeit hat und unter welchen nicht, wenn aber die Vergangenheit zu toter Geschichtsschreibung wird, anstatt zu einer lebendigen Geschichte, die eine Relevanz für unser gegenwärtiges Handeln und unsere Kämpfe hat, dann muss jeder Verweis auf sie, der einer Begründung von dieser oder jener Position dienen soll, als heuchlerisch, verlogen und unauthentisch gelten.

1Und nein, damit meine ich nicht die Aliierten des zweiten Weltkrieges …